Extravaganz
für ihre Individualität
"Das Durchschnittliche gibt
der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert."
Oscar Wilde
Meine Handschrift ist die Vielfalt. Ich verarbeite neben winzigen Perlen auch textile Materialien, die ich auf verschiedene Arten miteinander verbinde. So
entstehen blumige Kreationen oder kreative Blumengebilde. Dabei folge ich nicht
dem Zeitgeist sondern meinen ganz persönlichen Vorstellungen von Schmuckstücken. Ich möchte eher Geschmack bilden, weniger dem
Geschmack folgen. Jeder entwickelt Gesehenes weiter. So folge ich den Blumen am
Wegesrand, die mich immer wieder vom Weg abbringen.
Eine Handschrift zu pflegen, die man wiedererkennt, ist
nicht mein Bestreben.
Meine Unikate tragen nicht den Knopf im Ohr, sondern dürfen
gern überraschen. Eine Marke zitiert
sich ständig selbst und dies finde ich langweilig.
Du kannst nur etwas weben,
wenn du vorher einen Faden gesponnen hast und nur spinnen, wenn es einen
Nährboden gab. Einen Nährboden aus Chaos, Liebe, Leiden, Ruhe und wohlwollendem
Fördern. Meines Erachtens entsteht Kreativität aus Mangel und durch Abwesenheit.
Fehlen schafft Phantasie. Das Fehlende wird durch Phantasie ersetzt. Es waren
die Augen von zwei sehr weisen Frauen, die auf mich geschaut haben. Sie haben
mein Recht auf die Entfaltung meiner Gaben gefördert und dafür gesorgt, dass
ich gesehen und wertgeschätzt werde.
Die Eine von ihnen kam mit einem
Treck, der als „Todesmarsch der Breslauer Mütter“ in die Annalen der Geschichte
einging, eines Tages in meinem Heimatdorf an. Meine Großmutter nahm drei
ausgemergelte Schwestern nebst ihrer todkranken Mutter in ihrem Haus auf. Eine jener Schwestern, Frieda Berger, wurde als Kind meine Freundin. Eine Freundin, die
durch die Wirren des Krieges leicht wahnsinnig geworden war. Eine Freundin, die
mit mir in den Wald ging und Zapfen für den wärmenden Winterofen sammelte, eine
Freundin, die mit den Vögeln Gespräche führte, die mit mir „Wem Gott will rechte
Gunst erweisen“ sang und immer für mich da war. Mit ihr verbrachte ich Tage
voller Singen, Staunen und Lauschen im Schweigen. Wenn ich den Friedhof in meinem Heimatort besuche und an das Grab meiner Frieda trete, dann wird es mir warm ums Herz. So wie sie war, liebend das Unvollkommene und Natürliche, liegt sie eingebettet im weichen Gras.
Die zweite Hüterin meiner
Phantasie war meine Urgroßmutter mütterlicherseits. Diese beiden sehr
unterschiedlichen Frauen säten in mir den wilden und freien Geist. Den kann man
nicht kaufen und der lässt sich nicht bändigen. Er kann nicht gedeihen in einer
Welt, die auf Zwängen beruht. Ich wollte schon früh abwesend sein. Trendgedanken und Gruppenzwang
waren mir von klein an ein Graus, und so entschied meine Frau Mutter, dass ich
zeitweise dem Kindergarten und der Schule fernbleiben durfte. Nicht zu Hause
mit ihr oder bei ihr, denn auch sie war oft abwesend. Allein, im Blumenfeld
wilder Stiefmütterchen auf der Wiese von Schlottig Minna sitzend, verträumte ich die Zeit. Eine große Tasche bei mir, liebe lange Sommertage
kleine Stiefmütterköpfchen pflückend. (Diese wurden getrocknet und später als
Tee getrunken.) Zwischendurch Müßiggang und Singsang.
Von Zeit zu Zeit wunderbare
Wochen bei meiner geliebten Uroma. Sie war die Stiefmutter meiner mit 42 Jahren
verstorbenen Großmutter, die ich selbst nie kennengelernt habe. Jene Uroma Marta
Ihle, nach dem ersten Weltkrieg stolze Besitzerin eines Handarbeitsladens und
fast jeder ausgefallenen Handarbeitstechnik mächtig, ermunterte mich bereits mit
vier Jahren, meine Puppenkinder zu bestricken. Einfache Kleinmädchenfitzarbeiten,
die bereits halbfertig gelobt wurden. Abends legten wir uns nieder, das Fenster
weit geöffnet, lauschend dem rauschenden Dorfbächlein, Geschichten bis zum
frühen Morgen erzählend. „Oma, morgen häkle ich eine Mütze für Anna, mit einer
Blume so groß wie…ja mein Kätzchen jetzt schlaf aber erst mal. Ja Oma, gute
Nacht. Ja gute Nacht mein Samtpfötchen. Ja Oma gute Nacht, ja Kätzchen träum schön, ja Oma, du aber auch,
ja Petra du auch fein und süß, ja Oma morgen schauen wir wieder dem Sumpfbiber beim
Graben zu, ja ja das machen wir…“ Gefühlte dreihundert Sätze, nachdem man
beschlossen hatte, endlich einzuschlafen. Im Bett wurden, auch ohne danach noch
einmal Zähne zu putzen, saure Gurken und feine dunkle Schokolade gegessen. Nie
gab es ein böses Wort, nie den leisesten Anflug von einem bitteren Hauch. Nie
nie nie. Eisige Winde kannte die Oma Ihle, aber sie berichtete von ihnen sehr warm.
Sie würde staunen, wenn sie sehen könnte, was ich mittlerweile kreiere und dass
meine Art, Mützen zu fertigen, immer noch die der Vierjährigen ist. Keine
Veränderung im Anfang mit den drei Maschen und keine Veränderung in der Form.
Sie würde lächeln, meine gute, wunderbare Urgroßmutter. Die Familiengruft meiner guten Fee umringt von Bäumen und einem stillen Glück von Extravaganz.
Es wird unwichtig sein, wie ich
mich nannte. Aber es würde mich erfreuen, wenn irgendetwas nachklingt und bei
meinen Enkeln ankommt. Und wenn es nur zwei Maschen und eine Nadel wären, die
sie schätzen und mit denen sie dann ihr Seelengewand weiternähen.
Meine beiden Freundinnen aus dem
vergangenen Jahrhundert wussten, wie es geht, die Formdiktatur zerbröckeln zu
lassen. Ich erinnere ihren Weg und knüpfe meine Fäden an die Ihrigen an. Sie
haben mir einen unbeschwerten Zugang zu Vielem eröffnet. Die Kreationen leben
in mir ohne Anstrengung, und setze ich sie um, dann mit der Leichtigkeit, mit
der meine geliebte Urgroßmutter ihre Tage lebte. Wenn ihre Freundinnen dienstags
pünktlich um 14 Uhr zu Kaffee und Tee eintrafen, dann bereitete sie sich mit
einem Lächeln auf ihr Erscheinen vor. Die Haare wurden mit Haarnadeln fein
gerichtet, die zarte Perlenkette angelegt und das Meissener Service aus dem krächzenden,
dunklen Schrank hervorgeholt, das Silber wurde geputzt, und kurz bevor die schon
leicht krummen Damen Einzug in das wohlriechende Wohnzimmer hielten, machte sie
ein Schläfchen von zehn Minuten. Von ihrem Veilchenparfüm legte auch ich etwas
an, und so empfingen wir die Gesellschaft. Unter dem Tisch gaben wir uns spätestens
ab 17 Uhr kleine gut sitzende Stößchen. Die deuteten uns gegenseitig an, dass
es an der Zeit wäre, unseren Besuch wegzuzaubern. Wir sehnten uns nach einem ruhigen
Abend. Oma saß dann im alten Ohrenbackensessel und häkelte filigrane Spitzen. Und
ich zu ihrer Rechten erzählte ihr Märchen, die ich mir selbst ausdachte. So
wurde es fast Mitternacht. Und was dann folgte, habe ich ja bereits erzählt.
Unser Zauberspruch lautete übrigens:
„Geht ihr Geister, geht beizeiten. Wir können euch
jetzt nicht mehr leiden. Lasst uns zurück im Kämmerlein, wir wollen nun alleine
sein. Schon die alten Runzeltanten Ruh' und Radio schöner fanden.“
Ein Zauberspruch, der heute nicht mehr anschlägt.
Ein warmherziges Füreinanderfühlen entspannt sehr,
ist lebendiger, lustvoller. Dort, wo der Druck des Konkurrenzdenkens
abhandenkam, ist ein unkompliziertes und feines Miteinander möglich.
Ich danke all den kleinen Manufakturen, mit denen
ich zusammenarbeite. Wir begegnen uns in Achtung, geben uns Ideen
und Wissen weiter und bereichern so unsere Geschäftsbeziehungen.
All die wohligen Erinnerungen und Erfahrungen meiner
Kindheit haben sich mit bunten Fäden in meinen Teppich des freien, wilden Lebens
eingewebt. Während ich meine Unikate fertige,
wandert ab und zu mein Blick zu den alten, knorrigen Linden vor meinem Fenster
und
dann freue ich mich, wenn hier und da etwas wirklich Schönes durch meine Hände
entsteht.
Wenn Tage danach auf einer Kunstausstellung dann nicht nur die Unverbindlichkeit der Bewunderung praktiziert wird, um die gesehenen Objekte gedanklich mitzunehmen, sondern wenn meine Kreationen auch liebevolle Besitzerinnen finden, dann schmeichelt diese Wertschätzung meinem Katzenherz. Deshalb nenne ich meine Kolliers auch Halsschmeichler und meine Armbänder Handschmeichler.
Wenn Tage danach auf einer Kunstausstellung dann nicht nur die Unverbindlichkeit der Bewunderung praktiziert wird, um die gesehenen Objekte gedanklich mitzunehmen, sondern wenn meine Kreationen auch liebevolle Besitzerinnen finden, dann schmeichelt diese Wertschätzung meinem Katzenherz. Deshalb nenne ich meine Kolliers auch Halsschmeichler und meine Armbänder Handschmeichler.